Erfahrung: Stolperstein und Beschleuniger in der Weiterentwicklung deines Teams

Generell gilt: Je erfahrener dein Team ist, desto leistungsfähiger ist es. Dennoch kann Erfahrung die Ursache für den Widerstand deiner Teammitglieder sein. In meinem Artikel zeige ich dir, wie sich Erfahrung auch auf die psychologische Sicherheit deines Teams auswirkt und warum dir Experimente helfen können, dein Team weiterzuentwickeln.

Erfahrungen können positiv oder negativ sein - das Handlungsfeld Erfahrung im Modell für nachhaltige Teamentwicklung

Was bedeutet Erfahrung?

Erst durch das Handeln verfestigt sich das Wissen und dessen Anwendbarkeit in der Praxis. Klingt ein wenig kompliziert, oder?

Lass mich das etwas verständlicher formulieren: Wenn du zum Beispiel ein Training oder Seminar besuchst, um mehr über nachhaltige Teamentwicklung zu erfahren, entwickelst du dich im Handlungsfeld Wissen weiter. Wendest du das Gelernte nicht anschließend an, wirst du das theoretische Wissen schnell wieder vergessen. Das Ergebnis: Das Training hat dir nichts gebracht. Oder wie meine Lehrerin von damals sagen würde: Außer Spesen nichts gewesen.

Erst, wenn du das theoretische Wissen ausprobierst und wirklich anwendest, hast du gute Chancen, es langfristig im Gedächtnis zu behalten. Dabei wirst du bemerken, wo und wie du das theoretische Wissen zielgerichtet und effizient einsetzen kannst. In welchen Fällen es dir hilft oder in welchen Fällen es möglicherweise eher hinderlich ist. Du sammelst Erfahrung(en).

Theoretisches Wissen reicht nicht aus – es braucht Erfahrung(en)

Das Gleiche gilt für dein Team und deine Teammitglieder. Je mehr Erfahrung dein Team macht oder hat, desto besser weiß es, wie es sein theoretisches Wissen möglichst effizient einsetzen kann, um seine gemeinsamen Ziele zu erreichen. Es weiß deshalb auch, wo die Theorie von der Praxis abweicht und ein anderer Weg eingeschlagen werden sollte, als er möglicherweise in Ausbildungen oder Lehrbüchern vermittelt wird.

Zusammengefasst bedeutet das, dass es nicht ausreicht, dass deine Teammitglieder theoretisch wissen, wie sie eine Aufgabe erledigen oder umsetzen könnten, weil sich das theoretische Wissen während der Umsetzung als unvollständig, unbrauchbar oder sogar falsch herausstellen kann. Außerdem gibt es Dinge, die du und deine Teammitglieder ohnehin in keinem Lehrbuch nachlesen könnt. Ihr könnt sie nur “erfahren”. Was genau ich damit meine, verdeutliche ich dir im kommenden Absatz mithilfe eines Beispiels.

Einige Dinge lassen sich nur “erfahren”

Möglicherweise erinnerst du dich an deine Zeit in der Fahrschule.

In der Theorie (also im Handlungsfeld Wissen) klingt alles nachvollziehbar: Die vielen Verkehrsregeln, die unterschiedlichen Bedienelemente und Knöpfe im Auto und der Schulterblick. Insbesondere bei den ersten Fahrstunden fühlt es sich dann toll an, wenn sich das Auto in Bewegung setzt.

Doch bei der Fahrt im Stadtverkehr taucht ein Hindernis auf der eigenen Spur auf. Wie war das doch gleich mit dem Reißverschlussverfahren und dem Schulterblick? Wird die Person auf der Nebenspur wirklich langsamer? Macht sie Platz oder gibt sie Gas? Kann ich fahren? Droht ein Unfall? All diese Fragen beantwortet dir kein Lehrbuch – sie lassen sich nur “erfahren”.

Je mehr Erfahrung dein Team hat, desto leistungsfähiger wird es

Auch für deine Teammitglieder gibt es Sachen, die sie nur “erfahren” können. In Arztpraxen beispielsweise, wie sie bei langen Wartezeiten mit unterschiedlichen Menschen umgehen können, damit die Situation nicht eskaliert. Oder, wie viele Personen in einer Stunde problemlos behandelt werden können. In IT-Teams, wie und in welcher Reihenfolge automatisierte Test erfolgen oder IT-Systeme miteinander ohne Zeitverlust kommunizieren können. Oder, oder, oder… Ich bin mir sicher, dass du auch in deinem Team ganz viele Aspekte finden wirst, die sich auf das Beispiel aus der Fahrschule übertragen lassen.

Wie gut ist dein Team entwickelt?

Ich empfehle dir, dabei nicht nur über dein Team nachzudenken, sondern auch über dich selbst. Vermutlich wirst du für die Entwicklung eines oder mehrerer Teams verantwortlich sein. Ich nenne diese Rolle methodenneutral Team-Coach – in der Realität heißt sie oft Führungskraft, People Lead, Scrum Master oder Agile Coach. Was für Aspekte gibt es, die du nur “erfahren” und nirgends nachlesen kannst?

Eine Sache begegnet mir dabei oft in Trainings und Coachings: Wie gut ist dein Team schon entwickelt? Meiner Meinung nach lässt sich diese Frage kaum oder gar nicht mit Lehrbüchern beantworten. Sicherlich kannst du unsere Eigenschaften und Merkmale richtiger Teams anschauen und über dein Team reflektieren. Aber: Wenn du mal in einem richtig gut funktionierenden Team gearbeitet hast, dann springen dir Probleme, Abweichungen oder Entwicklungsschritte schnell ins Auge.

Deshalb gilt nicht nur generell, sondern auch in unserem Modell für Teamentwicklung: Je mehr Erfahrung dein Team hat, desto leistungsfähiger wird es in der Regel auch. Klingt nach den Erklärungen nachvollziehbar, oder?

Theoretisches Wissen reicht nicht aus - es muss auch angewendet und Erfahrungen gemacht werden.

Experimente sind hilfreich & notwendig

Mein Verständnis von Erfahrung und ihre Bedeutung zeigt dir erneut, dass die fünf Handlungsfelder im Modell für nachhaltige Teamentwicklung nicht wie die Teamentwicklungsphasen im von Bruce Tuckman entwickelten Phasenmodell funktionieren. Sie sind keine Reifegerade oder Phasen, die nacheinander zur Perfektion entwickelt werden.

Handlungsfelder sind keine Reifegerade oder Teamentwicklungsphasen

Stattdessen werden sie schrittweise und im ständigen Wechsel weiterentwickelt. Schließlich macht es mehr Sinn, wenn du dir zunächst neues Wissen aneignest und es ausprobierst, um Erfahrung(en) zu sammeln und das Wissen zu verfestigen, oder? Würdest du stattdessen erst ganz viel Wissen aufbauen, um es anschließend (irgendwann) geballt anzuwenden, hättest du es vermutlich bis dahin leider schon wieder vergessen.

Das Handlungsfeld der Erfahrung zeigt dir aber auch, wie wichtig Experimente für eine nachhaltige Weiterentwicklung deines Teams und das Erreichen der gemeinsamen Ziele sind. Warum fragst du?

“Wir haben in den letzten 10 Jahren auch kein Daily-Standup gebraucht!”

Vermutlich sind dir Aussagen wie “Wozu brauchen wir ein Daily-Standup? Wir haben doch die letzten 10 Jahre auch ohne gearbeitet!” oder “Wir haben uns auch ohne Retrospektive als Team verbessert!” schon mal begegnet. Warum sich deine Teammitglieder so äußern oder verhalten? Ganz einfach: Sie haben über einen längeren Zeitraum genau so gearbeitet, wie sie es gerade tun (wollen) und somit haben sie auch entsprechende Erfahrungen gemacht. Die Erfahrung, dass das irgendwie funktioniert hat und eigentlich gar nicht so schlimm gewesen ist.

In einem solchen Fall hilft es deshalb nicht, Wissen zu vermitteln. Kein Wunder – schließlich haben deine Teammitglieder nicht unbedingt ein Problem im Handlungsfeld Wissen, sondern eher in der Erfahrung. Wenn du also immer wieder versuchst, den Sinn und Zweck eines Daily-Standups zu erklären oder diesen an der Wand im Teamraum notierst, wirst du keine nennenswerten Fortschritte erzielen.

Guckt mal! Da hat euch das Daily-Standup geholfen, oder?

Deshalb solltest du deinem Team in diesem Beispiel in Situationen, in denen der Mehrwert eines Daily-Standups eingetreten ist oder sichtbar wird, unbedingt einen direkten Hinweis geben. Was ich damit meine? Deine Teammitglieder haben im Daily-Standup doppelte Arbeit vermieden? Super. Es wurde gemeinsam ein Plan für den Tag geschaffen und umgesetzt? Genial. Ein Problem, das das Team blockiert hat, wurde angesprochen und gemeinsam gelöst? Genau solche Situationen meine ich.

In diesen Situationen zeigt sich der Sinn und Zweck eines Daily-Standups. Nicht in der Theorie, sondern in der Praxis.

Nutze diese Chancen und weise deine Teammitglieder darauf hin – auf diesem Weg machen deine Teammitglieder zunehmend Erfahrung(en), wodurch sie langfristig zugänglich für Veränderungen sind und eine wertstiftende Haltung entwickeln.

Auch Teamkultur & psychologische Sicherheit verändern sich durch Erfahrungen

Nicht nur das Handlungsfeld Wissen, sondern auch die Teamkultur deines Teams entwickelt sich mit zunehmender Erfahrung.

Teamregeln, Werte und Teamprinzipien werden erlebbar und benennbar

Durch konkrete Erfahrungen werden die Teamregeln, Werte und Prinzipien, die dein Team gemeinsam erarbeitet und aufgestellt hat, erlebbar und benennbar. Beispielsweise dadurch, dass alle Teammitglieder zukünftig pünktlich zu den Terminen erscheinen oder sich gegenseitig ausreden lassen, nachdem dies gemeinsam in den Teamregeln oder Werten vereinbart wurde.

Negative Erfahrungen können die psychologische Sicherheit deines Teams beschädigen oder sogar zerstören.

Positive wie auch negative Erfahrungen verändern die psychologische Sicherheit

Ein Teammitglied, das in einer Diskussion beispielsweise seinen Wortbeitrag nicht beenden konnte und stattdessen wiederholt von einem anderen Teammitglied unterbrochen wurde, macht zunächst eine negative Erfahrung. Zukünftig wird es sich bei einer ähnlichen Situation ganz genau überlegen, ob es inhaltlich etwas beitragen möchte – oder ob es sich lieber zurückhält. Festigen sich diese Erfahrungen in Team, hat dies schwerwiegende Auswirkungen auf das Vertrauen, die sichere Atmosphäre und die Haltung (wie beispielsweise kontinuierliche Verbesserung) deines Teams.

… und die Haltung der Teammitglieder

Es gibt aber auch eine andere Seite der Medaille: Aus einer derartigen Situation können auch positive Erfahrungen entstehen. Allerdings nur dann, wenn sich das unterbrochene und enttäuschte Teammitglied dazu entscheidet, ein persönliches Gespräch mit dem Verursacher zu führen. Passt dieser sein Verhalten daraufhin zukünftig an, sodass alle ausreden können, dann ist es mehr als wahrscheinlich, dass gute Erfahrungen gemacht werden. Bei einem späteren Konflikt wird dann vermutlich erneut das Gespräch gesucht – eben, weil in früheren Konflikten bereits gute Erfahrungen gemacht wurden.

Dein Experte für Teamentwicklung

Markus Trbojevic, Autor von "Jedes Team ist anders" und Teamentwickler aus Leidenschaft.

Markus Trbojevic
Teamentwickler, Coach und Autor von „Jedes Team ist anders“.

Markus liebt es, wenn sich Teammitglieder entwickeln und als Team sukzessive Erfolge feiern. Als Autor von „Jedes Team ist anders“ sieht er seine Mission darin, dir Teamentwicklung möglichst nahbar und verständlich zu machen, damit du ein starkes Team entwickeln kannst.

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