Was ist das Phasenmodell von Tuckman?
Zwischen 1965 bis 1977 hat Bruce Tuckman das Phasenmodell entwickelt, das oft auch als “Teamuhr” oder “Teamentwicklungsuhr” bezeichnet wird.
Fünf Teamentwicklungsphasen
Inhaltlich beschreibt das Phasenmodell fünf unterschiedliche Phasen der Teamentwicklung, die ein Team nach Ansicht von Bruce Tuckman im Laufe seiner Zusammenarbeit durchläuft. Die Phasen beginnen bei der Gründung und Formung des Teams (Forming, Storming und Norming). Danach folgt die produktivste Phase (Performing) sowie die abschließende Auflösung des Teams (Adjourning). Letzteres allerdings hoffentlich nur dann, wenn das Team seine gemeinsame Ziele erreicht hat und nicht, weil es von seinem Leiden erlöst werden musste.
Das bekannteste Modell in der Teamentwicklung
Aufgrund seiner einfachen Darstellung erfreut sich das Phasenmodell von Tuckman im Bereich der Teamentwicklung großer Beliebtheit. Es ist deshalb nicht überraschend, dass es auch im Wikipedia-Artikel zum Thema “Teambildung” zu finden ist und sowohl in der Literatur, als auch in fast jeder Schulung zum Thema referenziert wird.
Aus diesen Gründen haben so gut wie alle Personen, die ich kenne und die in der Teamentwicklung tätig sind, in ihrer Laufbahn schon mal mit der Teamuhr von Tuckman gearbeitet.
Phasenmodell von Tuckman offenbart Schwächen in der Praxis
Wenn du jetzt denkst: “Super, dann habe ich mein Modell für die Teamentwicklung gefunden! Erzähl mir, wie ich es nutzen kann, um mein Team weiterzuentwickeln. ” – dann muss ich dich im weiteren Verlauf dieses Artikels leider enttäuschen.
Denn: So einfach wie die Teamuhr dargestellt und häufig verstanden wird, ist sie leider nicht. Außerdem wurden Teile des Phasenmodells bereits durch Studien widerlegt.
Aber bevor wir uns das anschauen, werfen wir zuerst einen Blick auf die fünf Teamentwicklungsphasen. Anschließend zeige ich dir, in welchen Punkten Bruce Tuckman konkret mit seiner Teamuhr falsch gelegen hat und welche Modelle dir stattdessen dabei helfen, dein Team weiterzuentwickeln.
Wie sind die fünf Phasen der Teamuhr aufgebaut?
Wir haben uns eben schon kurz mit den fünf Teamentwicklungsphasen beschäftigt. Jetzt schauen wir sie uns etwas genauer an.
Laut der Teamuhr von Tuckman beginnt der Lebenszyklus eines Teams mit dessen Gründung und Formung (die Phasen Forming, Storming und Norming der Teamuhr). Es folgt der Zustand der produktivsten Zusammenarbeit (die Performing-Phase) und mit Zielerreichung die Auflösung des Teams (Adjourning-Phase).
Nach Ansicht von Tuckman befindet sich ein Team immer in einer dieser fünf sogenannten Phasen der Teamentwicklung. Nachfolgend stelle ich dir die einzelnen Phasen kurz vor:
1. Forming
In der ersten Phase der Teamuhr beginnt sich das Team zu bilden. Die einzelnen Teammitglieder lernen sich langsam und vorsichtig gegenseitig kennen.
Erste Ziele als Team und Prinzipien werden stillschweigend wie auch gemeinsam definiert und erarbeitet. Das Team wendet sich langsam seinen Aufgaben zu. Die Beziehungen und Rollen der Teammitglieder sind allerdings weiterhin nicht definiert und den Beteiligten daher unklar.
2. Storming
In der zweiten Phase des Phasenmodells von Tuckman kommt es zu Machtkämpfen um Rollen oder Status innerhalb des Teams, die unter Umständen zu schwerwiegenden Konflikten zwischen einzelnen Teammitgliedern führen können.
Ursache hierfür sind meistens unterschiedliche Wertevorstellungen oder nicht erfüllte Bedürfnisse der einzelnen Teammitglieder. Trotz dieser Probleme beginnt das Team damit, seine Zusammenarbeit langsam zu organisieren und abzustimmen. Die Leistung des Teams ist allerdings weiterhin gering.
3. Norming
Nun entstehen Normen und Regeln. Dies kann durch entsprechendes Erarbeiten in der Gruppe, aber auch stillschweigend passieren. Die Teammitglieder beginnen, sich an diese Normen zu halten und haben ihre Rolle im Team gefunden.
Die Zusammenarbeit des Teams verstärkt sich. Das Team beginnt, gemeinsam an den Aufgaben zu arbeiten, da die Konflikte beigelegt wurden und die Anerkennung, Akzeptanz und Wertschätzung der Teammitglieder untereinander steigen.
Tipp: Insbesondere in dieser Phase der Teamentwicklung hilft die Durchführung regelmäßiger Retrospektiven, in denen deine Teammitglieder mit deiner Hilfe Maßnahmen zur Verbesserung der gemeinsamen Zusammenarbeit erarbeiten und beschließen können.
4. Performing
Das Team hat in dieser Teamentwicklungsphase seine produktivste Entwicklungsstufe erreicht und orientiert sich an dem gemeinsamen Ziel. Gemeinsam arbeitet es daran, dieses auch zu erreichen.
Die Leistung der einzelnen Teammitglieder ist konstant gut. Die Zusammenarbeit im Team wird weiter ausgebaut und durch Erfolgserlebnisse bestärkt und unterstützt. Die Teammitglieder helfen sich gegenseitig und gehen dabei offen miteinander um. Das alles wirkt sich positiv auf die Bearbeitung der Aufgaben aus: Die Leistung des Teams ist hoch.
Teams, die sich in diesem Zustand befinden, werden häufig auch als High Performing Team bezeichnet.
5. Adjourning
Die Zusammenarbeit des Teams nähert sich langsam dem Ende zu. Die Teammitglieder arbeiten daran, dass das gemeinsam Gelernte und Erreichte von ihnen die entsprechende Wertschätzung bekommt und für zukünftige Projekte erhalten bleibt. Außerdem verabschieden sie sich voneinander und ihren Rollen, die sie im Team gefunden haben. Ein wenig Trauer ist spürbar.
Diese Phase hat in der Teamuhr einen kleinen Sonderstatus: Im Gegensatz zu den anderen Teamentwicklungsphasen gibt es nach dieser keine weitere Phase, die ihr folgen kann.

Womit Bruce Tuckman im Phasenmodell falsch gelegen hat
Als ich zu Beginn meiner Arbeit als Teamentwickler die Teamuhr gefunden habe, habe ich mich zunächst gefreut. Worüber ich mich gefreut habe? Darüber, wie einfach die Teamuhr von Tuckman doch zu verstehen ist. Mein Gedanke: “Eigentlich muss ich doch nur herausfinden, in welcher Phase sich mein Team aktuell befindet. Anschließend muss ich es von dort aus ins Performing bringen.”
Teams überspringen einzelne Phasen und durchlaufen sie in unterschiedlicher Reihenfolge. Forming, Norming und Storming laufen somit nicht nacheinander, sondern eher durcheinander ab. <span>Markus Trbojevic, Jedes Team ist anders</span>
Schnell musste ich jedoch feststellen, dass es alles andere als leicht war, die Phase meines Teams zu bestimmen. Einige Teammitglieder waren neu im Unternehmen und befanden sich deshalb in der Forming-Phase. Andere Teammitglieder kannten sich schon länger und waren in der Performing-Phase. Damit wusste ich nur, dass sich mein Team irgendwo zwischen Forming und Performing befindet. Ich war also trotz des Phasenmodells von Tuckman genau so schlau wie vorher. Auch die Agile Coaches meiner Firma, die ich deshalb hilfesuchend ansprach, konnten mir irgendwie nicht weiterhelfen.
Studie von Pamela Knight im Jahr 2007
Meine damaligen Erfahrungen decken sich mit einer Studie, die Pamela J. Knight im Jahr 2007 an der Defense Acquisition University durchgeführt hat. Die Acquisition University ist eine Universität des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums. An dieser arbeiten Studierende in Teams an praxisnahen Projekten zusammen.
Mithilfe von Befragungen wollte Pamela Knight im Rahmen ihrer Studie herausfinden, in wie weit sich die Teams der Studierenden durch die einzelnen Phasen des Phasenmodells von Tuckman bewegten. Dabei gewann sie – wie ich finde – drei interessante Erkenntnisse, die dir zeigen, wie sich das Modell in der Realität beweist.
1. Aktuelle Phase der Teamentwicklung nicht eindeutig zu bestimmen
Wie in meinem eigenen Team, war es auch im Rahmen der Studie bei einigen Teams schwierig oder sogar unmöglich, die aktuelle Teamphase zu bestimmen. Dies lag daran, dass die im Phasenmodell von Tuckman beschriebenen Eigenschaften (wie beispielsweise Zugehörigkeit oder Sachkonflikte) nicht eindeutig in den Teams ausgeprägt waren.
Knight erklärt dies damit, dass die von Tuckman beschriebenen Phasen der Teamentwicklung nicht nacheinander durchlaufen werden, sondern teilweise überlappend oder sogar parallel zueinander stattfinden.
2. Reihenfolge der einzelnen Phasen des Phasenmodells unterschiedlich
Auch bei der Abfolge der Teamphasen deckte die Studie Abweichungen zwischen der Teamuhr und der Praxis auf.
Nur wenige der Teams, bei denen die Teamphase doch irgendwie bestimmt werden konnte, hielten sich an den im Phasenmodell von Tuckman beschriebenen Ablauf. Einige Teams übersprangen in ihrer Entwicklung einzelne Teamentwicklungsphasen, andere durchliefen die Phasen in veränderter Reihenfolge. Auch die Dauer, die Teams in den fünf Phasen verbrachten, unterschieden sich.
Hier zeigt sich schnell, dass Teamentwicklung keinem starren Muster folgt, das bei allen Teams gleich ist. Oder kurz formuliert: Jedes Team ist anders.
3. Konflikte finden immer statt und sind ganz normal
Ich persönlich finde die dritte Erkenntnis von Pamela Knight besonders spannend.
Während Tuckman mit dem Storming eine explizite Phase vorgesehen hat, in der Konflikte stattfinden, hat sie mithilfe der Studie herausgefunden, dass Konflikte eben keine explizite Teamphase darstellen. Stattdessen sind Konflikte für sie ein Prozess, der in einem Team über den gesamten Zeitraum der Teamarbeit über stattfindet – mal mehr, mal weniger intensiv.
Je länger du bereits als Team-Coach tätig bist, desto einleuchtender wirst du diese Erkenntnis vermutlich finden. Schließlich sind Konflikte ganz normal, weil sie häufig auftreten und deinem Team helfen, sich kontinuierlich zu verbessern – zumindest, solange sie aktiv thematisiert und geklärt werden.
Studie zum Phasenmodell im Internet
Wenn du dich tiefer mit der Studie beschäftigen möchtest, kannst du dir gern die dazugehörigen Dokumente durchlesen. Ich warne dich aber an dieser Stelle schon mal vor, dass das Dokument insgesamt 55 Seiten lang ist und in englischer Sprache verfasst wurde. Aber keine Sorge: In den vorigen Absätzen habe ich dir alle wichtigen Erkenntnisse der Studie zusammengefasst.
Was bedeuten die Studienergebnisse jetzt konkret für dich und deine Arbeit? Damit beschäftigen wir uns im nächsten Absatz.
Wie kann ich die Teamentwicklungsuhr nutzen, um mein Team weiterzuentwickeln?
Die Studie von Pamela Knight hat einige Aspekte des Phasenmodells von Tuckman widerlegt. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass nicht alles an seinem Modell schlecht ist. Immerhin diente es mir, wie auch den vielen Menschen, die sich mit dem Konzept von New Work beschäftigen, Führungskräften oder Scrum Mastern als einfacher Einstieg in die Welt der Teamentwicklung. Diesen Ansprüchen genügt es weiterhin.
Phasenmodell von Tuckman vor Anwendung kritisch hinterfragen
Allerdings haben viele Anwender aufgrund der einfachen Darstellung als Kreis einen Automatismus und einen starren Ablauf in das Modell hineininterpretiert, der schlichtweg nicht vorhanden ist und so auch nie von Tuckman beschrieben wurde. Somit lag vielleicht nicht nur Tuckman mit einigen seiner Schlussfolgerungen falsch, sondern auch wir Anwender mit unserer Interpretation seines Modells. Das zeigt auch, dass du gut beraten bist, derartige Modelle kritisch zu hinterfragen, bevor versuchst, sie anzuwenden.
Hinterfrage Modelle unbedingt, bevor du mit ihnen arbeitest. Überlege dir, wobei sie dir helfen sollen und was die Urheber überhaupt ausdrücken wollten oder dokumentiert haben. <span>Markus Trbojevic, Jedes Team ist anders</span>
Wenn du also in Zukunft Sätze hörst wie “Wenn wir etwas am Team ändern, geht die Forming, Storming & Norming wieder von vorne los!”, weißt du, wie du solche Aussagen einzuschätzen hast.
Mithilfe der Teamuhr Voraussetzungen für dein Team ableiten
Kommen wir zurück zur Anwendung des Phasenmodells. Mit den Inhalten und Merkmalen der einzelnen Teamphasen kann es dir helfen, wichtige Aufgaben und nächste Schritte in der Teamentwicklung abzuleiten. Zum Beispiel:
- Die Definition von Rollen
- Die Festlegung von Zielen
- Die Erarbeitung von Werten, Teamregeln und Prinzipien
- Die Durchführung regelmäßiger Retrospektiven
Viele dieser Aspekte habe ich dir in meinem Artikel und in meiner Definition eines Teams beschrieben. In dem Artikel findest du weitere Merkmale und Eigenschaften starker Teams, mit denen du dich beschäftigen solltest. Dazu gehören beispielsweise auch die Teamgröße und die Tatsache, dass alle notwendigen Fähigkeiten in deinem Team vorhanden sein müssen.
In der Weiterentwicklung deines Teams ist das Phasenmodell wenig hilfreich
Für die kontinuierliche Weiterentwicklung deines Teams kann das Phasenmodell von Tuckman wenig hilfreich sein – eben aus den Gründen, die Pamela Knight in ihrer Studie beschrieben hat.
Deshalb werde ich dir im nächsten Absatz das Modell für nachhaltige Teamentwicklung als Alternative vorstellen.
Welche Alternativen zur Teamuhr gibt es?
Um dein Team wirklich voranzubringen, brauchst du ein Modell, das dir dabei hilft, dein Team zielgerichtet weiterzuentwickeln. Deshalb haben Holger und ich das Modell für nachhaltige Teamentwicklung entwickelt.

Ein Modell für die zielgerichtete Weiterentwicklung deines Teams
Die fünf Handlungsfelder psychologische Sicherheit, Wissen, Erfahrung, Werte und Haltung geben dir nicht nur ein grobes Verständnis dafür, was ein Team braucht, um sich zu entwickeln. Sondern sie helfen dir auch dabei, das Verhalten deiner Teammitglieder zu verstehen. Hierdurch kannst du zielgerichtete Maßnahmen zur Entwicklung deines Teams planen und umsetzen.
Mit anderen Worten: Das Modell für nachhaltige Teamentwicklung berücksichtigt die Individualität der Teams – im Gegensatz zum Phasenmodell von Bruce Tuckman. Es hilft dir also dabei, alle Teams zu entwickeln, obwohl bekanntlich jedes Team anders ist.
Außerdem hilft es dir auch noch dabei, dich persönlich weiterzuentwickeln, damit du gut für die Entwicklung deines Teams gerüstet bist.
Fünf Arbeitsschritte zur Anwendung des Modells
Die konkrete Anwendung des Modells mithilfe von fünf einfachen Arbeitsschritten habe ich dir auf der Übersichtsseite der JTIA-Methode beschrieben. Lies dich genauer in die Arbeitsschritte ein und du wirst sehen, wie wertvoll das Modell für die Weiterentwicklung deines Teams ist.
Du möchtest das Modell lieber mit Gleichgesinnten und mir gemeinsam ausprobieren? Dich über deine Erfahrungen austauschen? Kein Problem: Melde dich für das Intensivtraining für nachhaltige Teamentwicklung an und zusammen finden wir heraus, wie hilfreich und zielgerichtet unser Modell ist.